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“Ich stimuliere mein Immunsystem durch Bach, Bach, Bach”

“Ich stimuliere mein Immunsystem durch Bach, Bach, Bach”

10 Fragen an den Dirigenten Professor Matthias Janz:

Interview: Andreas Schmidt

klassik-begeistert.de: Moin, moin an die Flensburger Förde, lieber Matthias, wie geht es Dir?

Matthias Janz: Meiner Familie und mir geht es gut, allerdings darf ich zu meinen vier Enkeln wegen Corona nur über Telefon Kontakt haben. Das ist natürlich traurig.

Was hast Du vor einem Jahr getan, und wie sieht Dein Alltag heute aus?

Vor einem Jahr hatte ich mit dem Symphonischen Chor Hamburg im Heilwig-Gymnasium Chorproben zur Vorbereitung auf die Johannespassion von Johann Sebastian Bach, die wir mit großem Erfolg am 6. April 2019 in der Laeiszhalle aufgeführt haben. Mein Alltag heute: natürlich keine Chorproben, aber Musik zu Hause: Partiturstudium, Cembalospielen, CDs hören.

Nenne bitte drei Schlagworte, wenn Du das Wort Corona hörst

Quarantäne, zwei Meter Abstand halten, Gesichtsmasken.

Was sind die einschneidendsten Veränderungen seit Ausbruch der Corona-Pandemie? Kannst Du ihr auch etwas Positives abgewinnen?

Positiv ist eine Verlangsamung unseres hektischen Lebens, man fährt kaum Auto, die Feinstoffbelastung in den Städten ist nicht so schlimm, diese fürchterlichen Kreuzfahrschiffe können nicht direkt in die Lagune von Venedig fahren….

Womit verdienst Du normalerweise Deine Brötchen? Wie ist die Situation nach Aussetzen sämtlicher kultureller Veranstaltungen?

Ich habe 40 Jahre bis zu meiner Pensionierung bei der Kirche hauptberuflich als Kirchenmusikdirektor gearbeitet, da habe ich mir natürlich einen Rentenanspruch erarbeitet. Meine Kinder sind selbständig. Die Honorare als freiberuflich tätiger Musiker fallen jetzt natürlich auch bei mir weg, aber schlimmer ist es für junge Sänger und Instrumentalisten mit Familie. Da brechen plötzlich alle Einnahmen weg. Um diese Kollegen muss man sich Sorge machen, nicht um mich!

Was fehlt Dir als eingefleischter Musiker, der von morgens bis abends fast nur in Musik denkt, am meisten?

Es fehlt der menschliche Kontakt zu vielen liebenswürdigen Menschen bei den Proben, und mir machen die Proben auch Spaß, das fehlt. Außerdem brauchen wir die Proben, um so schwierige Werke wie Beethovens MISSA SOLEMNIS von Ludwig van Beethoven dann auch zu beherrschen. Wir wollen die MISSA ja im süddänischen Sonderborg, in meiner Heimatstadt Flensburg und in der Hamburger Laeiszhalle vom 30. Oktober bis zum 1. November aufführen.

Wie würde Deiner Meinung nach ein geeigneter Rettungsschirm aussehen?

Ähnlich wie bei den kleinen Firmen müssten auch Künstlerhonorare bei Konzerten, die von der Regierung wegen Corona abgesagt wurden, durch finanzielle Hilfen ersetzt werden.

Du hattest am 23. Februar mit dem Symphonischen Chor Hamburg, phantastischen Solisten und den Bremer Philharmonikern einen herausragenden Erfolg mit Les Béatitudes von César Franck im Großen Saal der Elbphilharmonie. Wie gelingt es Dir als gefeierter Dirigent ohne Publikum bei Laune zu bleiben?

Da ich sehr oft – etwa bei der Matthäuspassion am Karfreitag, da läuten nur die Glocken am Schluss der Aufführung – auch ohne Beifall in der Kirche Musik gemacht habe, fehlt mir nicht so sehr der gewiss sehr erfreuliche Beifall… es fehlt die Musik, die man nicht aufführen kann. Ich bleibe also auch ohne Beifall bei Laune, solange ich noch selbst Musik spielen kann.

Eine Frage, die mich sehr interessiert: Mit welcher Musik stimulierst Du Dein Immunsystem?

Durch Bach, Bach, Bach…. aber auch durch  Beethoven, Mozart und natürlich durch viele andere Musik, die ich liebe.

Deine Frau unterstützt Dich seit Beginn Deiner Karriere. Wie kommt sie selbst durch die Krise?

Meiner Frau Eva-Maria geht es ähnlich wie mir. Wir lesen viel.

Wie hälst Du Dich in Form? Musikalisch und körperlich?

Spazieren gehen, ein wenig Gartenarbeit, Radfahren. Musikalisch: Bach am Cembalo üben, dafür habe ich sonst nicht so viel Zeit. Vor allem übe ich jetzt Werke, ohne mich  für ein bestimmtes Konzert vorzubereiten, einfach zum Spaß, „zur Rekreation des Gemüts“, wie Bach sagte. Als ich noch Organist war, habe ich oft 6 – 8 Stunden am Tag an der Orgel in der Kirche gesessen, um mir die Orgelwerke von Johann Sebastian Bach, Max Reger, César Franck, Olivier Messiaen und anderen zu erarbeiten. Jetzt sitze ich an meinem wunderschönen 2-manualigen Cembalo und beschäftige mich mit den  Klavierwerken Bachs, etwa mit dem II. Theil und IV. Theil der Clavierübung („Italienisches Konzert“, „französische Ouverture“, „Goldberg-Variationen“). Vor einigen Tagen hätte ich an Bachs Geburtstag mit meinem Freund , dem Flötisten Thomas Jensen, Sonaten für Flöte und Cembalo und Orgelwerke im dänischen Augustenborg spielen sollen, aber man kommt ja nicht einmal über die Grenze.

Es ist traurig, am Karfreitag nicht die MATTHÄUSPASSION aufführen zu dürfen. Dass eventuell die von mir so geliebte MISSA SOLEMNIS von BEETHOVEN oder die MOTETTEN von BACH (Landesjugendchor) nicht aufgeführt werden können, daran vermag ich nicht zu denken. Natürlich fehlen mir auch die Chorproben mit meinen drei Chören (Symphonischer Chor Hamburg / Flensburger Bach-Chor / Landesjugendchor Schleswig-Holstein). Aber ich arbeite – wie immer – an meinen Partituren (etwa LAZARUS von Schubert, den kannte ich vorher noch nicht). Was die meisten nicht wissen: die größte Zeit bei der Vorbereitung eines Werkes nehmen nicht die Proben in Anspruch, sondern das Partiturstudium. Die Aufführung selbst ist die kürzeste Zeit. Wie immer lese ich viel: zur Zeit auch Martin Geck „Wagner“… sehr gut! Neulich habe ich auf 3SAT den ROSENKAVALIER von Strauss gesehen und gehört (Staatsoper Unter den Linden). Die Inszenierung aus dem Jahr 2014, die ich bei den SALZBURGER FESTSPIELEN gesehen habe (Harry Kupfer), fand ich besser. Gerade lese ich noch einmal das Libretto von Hoffmannsthal.

Momentan verbringen viele Musikliebhaber viel Zeit in ihren eigenen vier Wänden. Gibt es ein Buch, eine CD oder auch Streamingangebot, das Du uns dringend empfehlen möchtest?

Ludwig van Beethoven, „Missa solemnis“: die CD-Einspielung von Frieder Bernius.

Kommen wir zur ersten Frage zurück: Wo siehst Du Dich in einem Jahr?

Ich hoffe, dass ich mich im März 2021 mit meinen Chören auf Bachs „Johannespassion“ (Karfreitag in St. Marien in Flensburg) und auf Händels „Belshazzar“ (Laeiszhalle Hamburg am 11. April 2021) vorbereiten kann.

Es gibt Zukunftsforscher, die nach überstandener Corona-Krise eine Verbesserung des Weltklimas -ökologisch wie sozial – prophezeien. Teilst Du diese Einschätzung? Wie ist Deine Vision? 

Es ist auch meine Hoffnung, dass die Menschheit  durch diese Krise etwas lernt, aber ich bin skeptisch.

Schauen wir in die Glaskugel: Die Heilige Corona, auch Schutzpatronin gegen Seuchen, hat ein Einsehen mit uns und beendet die Pandemie. Alle Musikclubs, Theater und Konzert- und Opernhäuser öffnen wieder. Für Dein erstes Konzert hast Du vier Wünsche frei: Wo, mit welchem Orchester, welchem Chor und welchen Solisten möchtest Du auftreten?

Ich hoffe, am 30. Oktober im dänischen Alsion (Sonderborg), am 31. Oktober im Deutschen Haus in Flensburg und am 1. November 2020 in der Laeiszhalle Hamburg Beethovens MISSA SOLEMNIS dirigieren zu können – mit meinen beiden Chören, dem Symphonischen Chor Hamburg und dem Flensburger Bach-Chor sowie dem Sønderjyllands Symfoniorkester  Ganz besonders wichtig wären mir die Gesamtaufführung der Motetten von Johann Sebastian Bach mit dem Landesjugendchor Schleswig-Holstein am 14. und 15. November 2020 in St. Marien Flensburg und St. Jakobi Lübeck sowie Händels MESSIAH als Jahresabschlusskonzert am 30. Dezember 2020 in Flensburg.

Interview: Andreas Schmidt, 1. April 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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