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Werkeinführung „Die Schöpfung“

Werkeinführung „Die Schöpfung“

Joseph Haydn (31. März oder 1. April 1732 bis 31. Mai 1809) gilt bis heute als Vater der Wiener Klassik. Als Ältester in der bekannten Reihe Haydn – Mozart – Beethoven ist er sowohl Pionier, als auch Vollender der Wiener Klassik und insbesondere der Sonatenform. Mit seinen zahlreichen Werken konnte er sich einen herausragenden Platz in der Musikgeschichte sichern. Sein Gesamtwerk, das sich im Stil von der Barockmusik bis in die Klassik erstreckt und besonders durch seine 107 Sinfonien geprägt wird, umfasst mehr als 1000 Werke. Die Schöpfung sticht dabei als eines seiner Meisterwerke heraus, welches von besonderer Schönheit und immerwährender Bedeutung ist.

Vom Chorknaben zum Meister

Haydns frühes musikalisches Leben ist durch wenige Stationen geprägt. Aus dörflichen Verhältnissen führt seine musikalische Laufbahn über das Chorknabenstift von St. Stephan in Wien und die Betätigung als freischaffender Musiker bis in die Dienstverhältnisse der wohlhabenden und kunstliebenden ungarischen Fürstenfamilie Esterházy, wo er den größten Teil seines Lebens als Hofmusiker verbrachte.

© Bwag/Wikimedia

Erst im Alter von beinahe 60 Jahren konnte Haydn aus dem Schatten seines höfischen Dienstverhältnisses heraustreten. Nach dem Tod seines Dienstherrn, Fürst Nicolaus I. („der Prachtliebende“) wurden Haydn und die Hofkapelle entlassen und so stand für Haydn der Weg offen, seinen internationalen Ruhm auszukosten. Dieser Weg führte ihn nach England. Der in London ansässige Geiger und Konzertveranstalter Johann Peter Salomon lud Haydn für zwei Aufenthalte ein, die sich über die Jahre 1791-92 und 1794-95 zogen. In London wurde Haydn schnell zum Mittelpunkt des Musikgeschehens und es wurde ihm nicht ohne Stolz bewusst, dass aus dem Kapellmeister einer kleinen österreichischen Residenz ein international bekannter Meister geworden war. „Meine Sprache versteht man in der ganzen Welt,“ sagte er einst zu Mozart.

Viele neue Anregungen durch die Londoner Bevölkerung und die dort gespielte Musik schlugen sich in zahlreichen Kompositionen nieder, von denen besonders die Londoner Sinfonien hervortreten, die als unangefochtener Höhepunkt seines sinfonischen Schaffens gelten. In England erlebte Haydn nicht nur eigene Erfolge, sondern genoss die Händelschen Oratorien, die ihn tief beeindruckten. Von den Werken Händels und besonders deren machtvollen Chören und großen Orchestern inspiriert, erschuf Haydn nun selbst große Werke für Chor und Sinfonieorchester.

Ein tiefreligiöses Oratorium

Die Arbeit an seinem Oratorium Die Schöpfung dauerte vom Oktober 1796 bis zum April 1798. Der katholisch geprägte Haydn fand in dem äußert inspirativen Thema eine grundlegende tiefreligiöse Erfahrung, die ihn in seiner Arbeit bestärkte: „Ich war auch nie so fromm, als während der Zeit, da ich an der Schöpfung arbeitete; täglich fiel ich auf meine Knie nieder und bat Gott, dass er mir Kraft zur glücklichen Ausführung dieses Werkes verleihen möchte.“

Quelle: Alchetron.com

Ihre glückliche Uraufführung erlebte Die Schöpfung am 29. April 1798 vor einer geschlossenen Gesellschaft, den Assoziierten Kavalieren, um Gottfried van Swieten, einem musikalischen Mäzen und Förderer, der mit allen bedeutenden Musikern der Wiener Klassik verkehrte. Ein Jahr später übertraf die öffentliche Aufführung am alten Wiener Burgtheater die Uraufführung noch an Erfolg und so begann für das Oratorium ein Siegeszug durch die Konzertsäle Europas. Die Schöpfung stellt einen Höhepunkt in Haydns Schaffen dar und verdeutlicht seinen Einfluss auf die musikalischen Entwicklungen, brach Haydn doch mit der traditionellen Vorherrschaft der Arien und räumte dem Chor eine deutlich größere Bedeutung ein. Haydns weltweiter Erfolg ebnete den Weg zu einem neuen Chororatorium, welches sich außerhalb des sakralen Raums ansiedelte, wodurch der Konzertsaal zum beliebten Aufführungsort avancierte. Die Schöpfung wurde ein fester Bestandteil des klassischen Repertoires und gilt bis heute als zentrales Werk des Genres. Mit der Schöpfung und seinem zweiten sehr erfolgreichen Oratorium Die Jahreszeiten (1801) legte Haydn für beinahe ein ganzes Jahrhundert den Rahmen für moderne Instrumentation eines Orchesters fest, in dem vom Piccolo bis zum Kontrafagott fast alle Instrumente eingesetzt werden.

Das Wunderwerk Gottes

Die Entstehungsgeschichte des Oratoriums ist aber nicht nur durch die Inspiration in den Konzertsälen Londons mit den Englandreisen verbunden, sondern auch über das Libretto. Die Textvorlage der Schöpfung gelangte über Johann Peter Salomon an Haydn. Ursprünglich war diese von einem unbekannten Verfasser, vermutlich namens Lidley (Linley), für Händel zusammengestellt worden. Dafür verwendete er Texte aus der Bibel – aus dem Johannes-Evangelium und den Psalmen – und aus John Miltons großem Versepos Paradise Lost. Dieses Libretto wurde von Händel selbst nie verarbeitet und so konnte Haydn die Schöpfungsgeschichte in Musik umsetzen. Das eigentliche Schöpfungsgeschehen wird mit den Worten der Genesis in Rezitativen berichtet, während in Arien und Chorälen Texte zur Ausschmückung der biblischen Handlung gewählt wurden. Das Besondere an diesem Libretto ist, dass es sich mit dem Wunderwerk der Schöpfung beschäftigt, den Sündenfall jedoch ausklammert. Ein detailverliebter Blick auf das Paradies vor dem Sündenfall und ehrfurchtsvolle, tonmalerische Schilderungen der Entstehung der Welt schaffen einen unverdorbenen, im tiefsten Sinne naiven Blick auf die Schöpfung. Es geht um das tiefe, menschliche Staunen über die Schönheit der Schöpfung, diesem Wunderwerk Gottes.

Kompositionsweise

Die Schöpfungsgeschichte wird von den drei Erzengeln Gabriel, Uriel und Raphael berichtet. Unterstützt werden sie vom Chor, der anfangs als Chor der Engel zunehmend zum Chor der von Gott geschaffenen Natur wird.

Francesco Botticini: Erzengel Michael, Raphael und Gabriel, 1470

Abwechselnd berichten die drei Erzengel davon, wie Tag für Tag Neues entsteht, während der Chor vor allem am Ende der jeweiligen Schöpfungstage in Erscheinung tritt. In seinen oft monumentalen Chorpassagen wird die Schöpfungsleistung in vollem Lobgesang gepriesen.

In seinen musikalischen Malereien hat Haydn ein geniales Kompositionsprinzip angewandt. Zuerst erscheint in der Musik, was dann von den Sängern beschrieben wird. Der Sonnenaufgang erstrahlt zunächst musikalisch, bevor Uriel den Glanz der Sonne besingen kann. Erst hören wir die schrecklich rollenden Donner oder den allerquickenden Regen, bevor sie genannt werden. Dasselbe gilt für die verschiedenen Tiere, die Haydn auch tonmalerisch präsentiert. Sein Prinzip ist sehr einleuchtend. Die Beschreibung kann nur nachträglich sein, denn Gottes Schöpfung hat sich immer vor der Schöpfungsgeschichte ereignet.

Der Aufbau des Oratoriums ist nach Händelschem Vorbild dreigeteilt. Die eigentliche Schöpfungsgeschichte, wie aus dem leeren Nichts eine vielfältig bevölkerte Erde wurde, findet sich in den ersten beiden Teilen, während der dritte Teil das Leben der ersten Menschen thematisiert und in zwei abschließenden Lob- und Dankeschören gipfelt.

Die ersten vier Tage der Schöpfung, die im ersten Teil dargestellt werden, beschreiben die Erschaffung des Lichts, der Himmelskörper und der Erde aber auch des Wassers, des Wetters und der Pflanzen in lebendigen Bildern. Die Orchestereinleitung stellt schon zu Beginn eine Besonderheit des Oratoriums dar. Es ist keine konventionelle Ouvertüre, sondern eine Darstellung des Zustandes vor der Schöpfung und von Haydn selbst betitelt als „Die Vorstellung des Chaos“, aus dem sich die Schöpfungsgeschichte entfalten kann. Fast nur gehaucht berichtet der Chor den ersten Schöpfungsakt. In einer leeren Stille wird das Schweben Gottes Geistes über der öden Fläche beschrieben, bis aus einer unendlich gespannten Stimmung das Licht in einem leuchtenden musikalischen Schlag hervorbricht. Solche Szenen verdeutlichen die tonmalerische Kraft dieses Oratoriums. Auf diesen monumentalen Schöpfungsakt folgen in ähnlich deutlichen Klängen die Schaffung der Elemente und der Landschaft. Großartig sind hier die musikalischen Tonmalereien, wenn die verschiedenen Seiten des Wetters vom flockigen Schnee bis zum rollenden Donner beschrieben werden.

Im zweiten Teil wird die an den folgenden Schöpfungstagen immer stärkere Belebung der Erde gefeiert. Die Erschaffung aller Tiere, von den Fischen über die Vögel und stolzen Landtiere, wird in ebenso starken Bildern gezeichnet. Haydns Kompositionsstil, die musikalische Darstellung vor den Kommentaren der Erzengel erklingen zu lassen, entfaltet bei der Vorstellung der Tiere einen besonderen akustischen Reiz. Anmutig erheben sich die Streichinstrumente zum Flug mit dem stolzen Adler, sie schäumen mit Leviathan aus den Tiefen zur Meeresoberfläche empor und begleiten tänzerisch den Hirsch über die grünen Wiesen. Jedes Tier wird einzeln musikalisch vorgestellt, bis schließlich zur Vollendung der Schöpfung nur noch eine letzte Kreation fehlt. Die Worte Raphaels „Doch war noch alles nicht vollbracht, dem Ganzen fehlte das Geschöpf“ leiten über zur Erschaffung des Menschen und damit zur Vollendung der eigentlichen Schöpfungsgeschichte, die im Jubelchor besungen wird.

Im Paradies

Das Wunderwerk der Schöpfung wird nun im dritten Teil verherrlicht. Wir folgen Adam und Eva in ihren ersten glücklichen Stunden im Garten Eden, in denen sie gemeinsam mit dem Chor Gottes Werke loben und preisen. Die paradiesische Stimmung in diesem heiteren Oratorium wirkt ungetrübt, außer, dass Uriel dem Paar erklärt, dass sie immer glücklich sein werden, solange sie davon Abstand nehmen, mehr haben oder mehr wissen zu wollen als sie sollten. Diese mahnenden Worte deuten eine dunkle Vorahnung auf den späteren Sündenfall an, doch Haydn beendet die Schöpfung schlichtweg vorher, denn es geht eben nicht um das verlorene Paradies, sondern um das Wunder der Schöpfung. Das Menschenpaar stellt zwar den Höhepunkt der Schöpfungsgeschichte dar, aber es ist immer klar, dass über ihnen der noch viel Größere steht, der sie erschaffen hat.

Die Bedeutung des Werks in der heutigen Zeit

Haydns Musik führt uns zum Anfang zurück, den wir allzu oft vergessen haben. Sie ist weder moralisierend noch mahnend, sondern ein großer Lobgesang, der uns daran erinnert, die Wunder der Natur zu schätzen und nicht aus den Augen zu verlieren.

Haydn gelingt hier ein einzigartiges Meisterwerk, das mit seinen vielfältigen Naturschilderungen und pittoresken Tonmalereien bis heute nicht an Kraft eingebüßt hat. Die Begeisterung für das Werk mit seinem optimistischen Grundton kannte damals keine Grenzen und sie hält bis heute an.

© 2017, Laura Thomsen, Kiel

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